Cocksucker Blues
Regie: |Robert Frank| 
USA
1972
Als er 1972 den Auftrag bekam, die Amerika-Tour der Rolling Stones zu dokumentieren, hatte die Befreiungstheologie der Beats längst abgewirtschaftet. Sie war durch Transformationen gegangen: durch die Flower-Power-Ideologie der Hippies, die Acid Tests von Ken Kesey, die Schlammfeste von Woodstock. Und sie hatte in Altamont von jenem "Spirit of Evil" gekostet, der der euphorischen Energie der Entgrenzung „das heilige Nichts der unerschaffenen Leere" (Kerouac) entgegenstellte. Die Rolling Stones, die in Altamont zusehen mussten, wie ein Mann vor der Bühne erstochen wurde, waren die doppelköpfigen Priester von Ekstase und Vernichtung, sie kreisten in ihrer eigenen Umlaufbahn: „Ich kam mir vor wie in einem Raumschiff", sagte Robert Frank einmal. „Ich dachte, die Stones seien normale Leute. Doch ich fand schnell heraus, dass sie nicht dieselbe Luft atmen wie wir anderen. Sie reisen in dünner Luft und sie ziehen dich in ihrem Sog mit." Cocksucker Blues, der Film, der die Tour dokumentiert, ist berühmt und berüchtigt geworden: Er zeigt Partyrausch und sexuelle Freizügigkeit, vor allem in der Entourage der Band, er kontrastiert zenbuddhistisches Geschwafel mit der Heroinnadel, die Hysterie der Fans mit dem Ennui im Backstagebereich. Die Anwälte der Rolling Stones verboten die öffentliche Aufführung von Cocksucker Blues, weil er die Gruppe in einem zu schlechten Licht zeige. So wurde durch den Entzug der Bilder ein überdimensionaler Mythos geschaffen, dem das Werk selbst nicht standhalten kann. Robert Frank hat den Skandalwert seiner Doku immer heruntergespielt: „Ich habe während der ganzen Tour keine einzige Orgie gesehen. Es sei denn, Sie bezeichnen ein Mädchen, das von zwei Typen gevögelt wird, als Orgie." Bemerkenswert ist nicht die Chronik vorgeblicher Exzesse, sondern viel eher, wie wenig dieser Film, der die inhaltliche und zeitliche Mitte zwischen Pull My Daisy und Candy Mountain markiert, in seinem inneren Design von den übrigen Arbeiten Franks abweicht: Man findet die nomadisierende Kamera, die, wie auch in About Me: A Musical oder dem Musikvideo zu Patti Smiths "Summer Cannibals", ihre Protagonisten immer wieder verliert und sich der Intuition eines zweckfreien Dérive überlässt. Man verirrt sich im akustischen Labyrinth einer nach komplexen Schaltplänen gefertigten Klang-Partitur, die Stimmengewirr, Konversationsfetzen, den Lärm startender Flugzeuge und brutal zerhackte Teilkörper von Stones-Songs zu einer Art Brut verdichtet. (Thomas Mießgang)

s/w & F
90 min.

Screening Uhrzeit Ort
13.09.2003 21:00 augartenkino kiz